Würde und Solidarität Teil 4

Gedächtnisprotokoll

Vortrag und Diskussion mit Dr. Holger Thiel, freier Philosoph

Thema: Würde und Solidarität (4.)

Zeitraum: Montag, 15. Juli 2024,18:00-20:00 Uhr,

Ort: Treff Britz, Franz-Körner-Str. 61a, 12347 Berlin, Veranstaltungsraum der BG IDEAL

A.     Anknüpfungspunkte zu unserer letzten Veranstaltung Würde und Solidarität am 15.4.2024

In unserer letzten Veranstaltung haben wir uns mit wertschätzenden Begegnungen, mit menschlichen Erwartungen, Bewertungen und Werten beschäftigt, die unsere Verbundenheit, unsere alltägliche Verständigung mit anderen Menschen beeinflusst.

 

B.     Weiterführende Gedanken, Impulse und Fragen im dialogischen Gespräch am 15.7.2024

Die Vielfalt menschlicher Würde:  Heute besprechen wir, wie ein würdevoller Umgang miteinander in Begegnung, Gespräch und durch gegenseitiges Verständnisgelingen kann. Auf der Grundlage des Buches von Peter Bieri (2015): „Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde.“, erläutert Holger Thiel, Würde als Lebensform, als eine bestimmte Art und Weise, ein menschliches Leben zu leben. Nach Peter Bieri ist Würde „ein Muster des Denkens, Erlebens und Tuns“ die folgende drei Dimensionen umfasst: 1. die Art, wie ich von den anderen Menschen behandelt werde – hier ist die Würde etwas, über das andere bestimmen; es ist ihr Tun, das meine Würde bewahrt oder zerstört; 2.die Art, wie ich andere Menschen behandele, wie ich zu ihnen stehe; hierliegt die Verantwortung für meine Würde ganz allein bei mir; ich selbst habe es in der Hand, ob mir ein Leben in Würde gelingt oder nicht; 3. die Art, wie ich zu mir selbst stehe; die Art, wie ich zu mir selbst stehe prägt meine Einstellung zu anderen Menschen; dieser Zusammenhang prägt die Art und Weise und das Ausmaß, in denen die anderen Menschen über meine Würde bestimmen können. Die Vielfalt menschlicher Würde beschreibt Peter Bieri in seinem Buch ausführlich in den Zusammenhängen mit Selbstständigkeit, Begegnung, Achtung der Intimität, Wahrhaftigkeit, Selbstachtung, moralische Integrität, Sinn für das Wichtige und in der Anerkennung der Endlichkeit.

Um etwas bitten – Wünsche an andere:  Wenn ich eine Bitte äußere, dann ist dies immer abhängig vom jeweiligen äußeren Kontext und von meiner inneren Haltung. Beispiele: Wenn ich eine Bitte ausspreche, kann es darum gehen, dass ich

1) konkrete Hilfe benötige
2) um Verständnis bitte
3) um Aufmerksamkeit bitte
4) um Geduld bitte
5) jemand einlade
6) jemanden auffordere, etwas zutun oder zu unterlassen
7) jemanden höflich bitte, meine Würde zu respektieren.

Die Art und Weise, wie der andere Mensch mit meiner Bitte umgeht, ist abhängig von seinen bisherigen Erfahrungen, Einstellungen und Haltungen. Die Art und Weise, wie ich eine Bitte äußere, kann Hinweise darüber geben, was ich mit meiner Bitte eigentlich meine. So kann in der menschlichen Kommunikation ein „Bitteschön“ etwas anderes zum Ausdruck bringen als ein kurzbeiläufig geäußertes „Bitte“. Am Beispiel eines obdachlosen Menschen, der an der Straßenecke um Geld bittet, und der Haltung vorbeigehender Menschen, die etwas Kleingeld in ein Behältnis einlegen, treffen sowohl die objektive Situation des um Hilfe bittenden Menschen als auch die bisherigen Erfahrungen und Einstellungen der vorübergehenden Passanten aufeinander. Fragen zu würdevollem Verhalten sind hier nicht leicht zu beantworten.
Im Bereich der Pflege wird ebenfalls deutlich, welche Bedeutung der jeweilige Kontext einer „Bitte“ und die organisierten Hilfeangebote auf die Würde des zu Pflegenden hat. Hier kann sich je nach Kontext „Hilfe durch Degradierung“, „gönnerhaftes Helfen“ oder „Entmündigung“ (objektiv oder subjektiv) zu einer würdelosen Hilfeleistung entwickeln. Nach Heidegger kommt es darauf an, wie Menschen einander begegnen. So kann Pflege auf der einen Seite für den pflegebedürftigen Menschen befreiend sein, wenn er von den Pflegenden lebensnotwendige Unterstützung bekommt, auf der anderen Seite kann die durchgeführte Pflege dazu führen, dass die zu Pflegenden bevormundet werden. Teilnehmende berichten aus ihren Erfahrungen, dass die Art und Weise wie eine Bitte geäußert wird, bedeutsam dafür ist, ob „Bitte“ als Forderung (Instrumentalisierung der Bitte), eine Höflichkeitsäußerung oder eine Lüge ist. Deshalb sei es notwendig, die „Bitte“ abzugrenzen zu „Forderung“, „Betteln“ oder „Schwäche zugeben“. Im Handlungskonzept von Rosenberg zur „Gewaltfreien Kommunikation (GFK)“ wird in der vierten Phase (Wunsch / Bitten) das Bitten in Abgrenzung zum Fordern dargestellt. Bitten erfragen in der Gegenwart eine konkrete Handlung. Sie haben gegenüber Wünschen eine größere Chance auf Erfolg, weil sie sich leichter erfüllen lassen. Wünsche beziehen sich in diesem Zusammenhang hauptsächlich auf Zustände oder Situationen in der Zukunft.

 

Würde und Leid: Menschen in schwierigen Lebenssituationen, Menschen in existenziellen Krisen (Beispiele: lebensbedrohliche Krankheiten, der Verlust geliebter Menschen, uvam.) suchen Antworten auf ihre vielfältigen Fragen. Sie leiden an Körper und Seele, sie fragen nach dem Sinn ihres Lebens und nach einem Leben in Würde. Gefühle der Resignation und Hoffnungslosigkeit wechseln sich ab mit kleinen Hoffnungsschimmern und mutmachenden menschlichen Begegnungen. Wir fragen, ob und wie erlebte Schicksalsschläge und existenzielle Krisen unser bisheriges Verständnis von Würde beeinflussen. Zur Frage „Wie kann das eigene Leidbewältigt werden?“ werden persönliche Erfahrungen und Einschätzungen geäußert, die zum Ausdruck bringen, dass „ich meine Würde nicht verliere, auch dann nicht, wenn ich schwach bin“. Oder: „Wenn mir die Würde als eigene interne Handlungsorientierung dient, dann darf ich mich auch in Krisensituationen hilflos fühlen.“

Anmerkungen– aus meiner Ich-Perspektive

Das heutige Gespräch im Treff Britz habe ich als eine Bereicherung meiner Beschäftigung mit der Würde empfunden. Ich bin froh und dankbar für den Austausch und die Impulse, die mich anregen, mich intensiver mit einzelnen Äußerungen zu beschäftigen. Die Gesprächsatmosphäre habe ich als hilfreich erlebt, mich auf neuen Gedanken einzulassen. So habe ich die Aussage „Ich verliere nicht meine Würde, wenn ich schwach (oder krank) bin.“  als wohltuend und hilfreich für mich empfunden. Für mich ein gelungener Abend mit der „Würde“.

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Berlin, 29.11.2024 / Otto Hofmann

Foto von Adam Vradenburg auf Unsplash

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